Ich habe mich immer gefragt, wie sieht es aus hinter den Kulissen bei denen, die Nähen nicht nur als Hobby haben, sondern es beruflich ausüben.
Komm mit auf eine Reise durch die Ateliers und Werkstätten und wage mit mir einen tiefen Einblick hinter die Kulissen…
Ich habe viele Termine gemacht, nette Gespräche geführt, tolle Leute kennengelernt.

Heute sind wir zu Gast bei Nadine Beninga von Pflaumenwurst.

Hallo Nadine, danke dass du dir Zeit nimmst für ein Interview.

Hallo Sabine!

Fangen wir direkt an. Wer bist du und was machst du?

Ich heiße Nadine Beninga, bin Mama eines achtjährigen Sohnes und nebenbei 🙂 Modedesignerin. Das nebenbei kann auch durch hauptberuflich ersetzt werden…

Wollte ich gerade fragen: Wie wird man nebenbei Modedesignerin? 😀

🙂 ja, das ist nicht möglich 🙂

Wie war dein Weg bis dahin? War das schon immer dein Traumberuf oder bist du über Umwege dahin gekommen?

Oh, das waren einige Umwege! Nach dem Abi habe ich eine Ausbildung zur Hotelfachfrau begonnen, nur ganz kurz durchgehalten 🙂 Dann folgte das Gartenbaustudium in Hannover. Endlich hab ich dann mein Wunschstudium beginnen können: Veterinärmedizin. Aber nach vier Jahren musste ich feststellen, dass ich nachts immer noch von Schnittmustern und Stoffen träumte, also wurde auch das beendet. Von da an habe ich mich intensiv bei verschiedenen Schulen und Universitäten für das Fach Modedesign beworben und wurde auch gleich am Lette-Verein in Berlin genommen. Genäht habe ich, seit ich denken kann. Meine Mama hatte eine Singer-Nähmaschine, die zog mich magisch an. Das Haus war voller „Materialien“ und wurden (sehr zum Leid meiner Ma) alle von mir vernäht und verschnitten. Zum Abschluss gab es dann regelmäßig eine Modenschau für die Kinder aus dem Dorf. Die mussten zugucken 🙂 2004 war ich endlich staatlich geprüfte Modedesignerin.

Da hast du aber einen weiten Weg zurück gelegt! Warum nicht direkt?

Ich wollte Tiere retten! Hotelfach und Gartenbau waren Lückenfüller. Aber im Medizinstudium gings ziemlich rund, da war von Tierliebe nicht mehr viel zu spüren. Modedesign wurde mir aus dem Kopf „geschlagen“ wegen sogenannter „brotloser Kunst“. Aber ich war damals weit weg von zu Hause und habe dann endlich gemacht, was ich wollte.

Ja, der Traum vieler junger Mädchen… Tiere retten. Das wollte meine Tochter auch. Als ich ihr dann aber erklärte, dass ein Tierarzt auch nicht alle Tiere retten kann und im Gegenteil auch mal eins aufschneiden und operieren und schlimmstenfalls sogar einschläfern muss, war das Projekt Tiermedizin sofort erledigt. Dann bist du doch beim Modedesign gelandet – das was du eigentlich schon immer wolltest. Wie lange dauert so ein Studium? Was lernt man da alles? Ist es wirklich so spannend wie es klingt oder war es sehr trocken?

Tiere aufschneiden und zunähen kann sehr spannend sein, wenn das Tierchen den Vorgang überlebt 🙂 Ach, da könnte ich Geschichten erzählen… Aber nein, bleiben wir beim Thema 🙂 Mein Studium hat drei Jahre gedauert. Es waren schöne Zeiten, aber auch ziemlich nervenaufreibend. Es gab für mich viele spannende und einige trockene Fächer. Manches hat einfach gefehlt oder wurde nur kurz angesprochen. Zu den trockenen Fächern gehörten für mich: Modegeschichte, Stoffkunde und CAD (computeraided design – rechnerunterstütztes Konstruieren). Spannend war definitiv Schnittkonstruktion und Modellentwicklung. Toll war auch, dass eine Reise zu den Modenschauen nach Paris organisiert wurde und wir einige Modenschauen ansehen konnten, z.B. von Vivienne Westwood! Ich liebe diese Frau!

Wow! Das war bestimmt ein Erlebnis…

Oh ja, das war genial!

Wie ging es nach dem Studium weiter?

Danach waren wir alle etwas desillusioniert. Was im Studium fehlte, waren definitiv Angebote zu Praktika, Kontakte zu Firmen oder Wege zur Selbständigkeit. Für mich war immer klar: ich arbeite nur für mich. Daher überlegte ich mir einen Weg, um mich selbständig machen zu können. Erst arbeitete ich von zu Hause aus, ein halbes Jahr später wurde mein kleines Atelier eröffnet.

Desillusioniert – weil ihr nicht wusstet: Was nun?

Ja, genau: was nun und vor allem wie? Der Modezirkus ist leider auch ein Haifischbecken. Ohne die richtigen Kontakte kommt man da nur sehr schwer rein.

Reicht ja nicht, mal eben ein Schild an die Haustür zu hängen: Hallo, hier komme ich! Und doch hast du es so gemacht – offenbar erfolgreich. Wie hast du das angestellt?

Ich spring gern ins kalte Wasser und denke nicht so viel darüber nach, was alles passieren kann. Damals zumindest 🙂 Da ich kein Geld hatte und mir keines leihen konnte (Berliner Banken!) suchte ich mir einen Job in der Gastronomie und habe damit meinen Start finanziert. Das war hart: nachts und am Wochenende Geld verdienen und tagsüber im Atelier stehen. Anfangs lief es natürlich nicht, aber nach und nach wurden es immer mehr Aufträge und nach ca. 6 Monaten konnte ich davon leben. In Bars und Restaurants bin ich jetzt nur noch Gast. 🙂

Ist das nicht ein tolles Gefühl??

Das ist es auf jeden Fall!!! Mein Atelier vermisse ich sehr, denn 2008 wurde ich Mama und 2009 habe ich den Laden geschlossen. Mein Kleiner war zu Beginn immer dabei, sogar auf einer Modenschau von mir. Aber ich habe schnell gemerkt: so funktioniert es nicht. Wir sind aufs Land gezogen und hier in der Gegend wäre das Konzept aus Berlin nicht aufgegangen. Da habe ich angefangen, Schnittmuster im Ebookformat zu verkaufen und Hilfe für andere Designer im Bereich Schnittkonstruktion angeboten. Allerdings alles im Kleinformat. Noch 🙂

Das wäre meine nächste Frage gewesen. Mit Kindern ändert sich alles. Aber glücklicherweise bieten sich dank Internet ja auch tolle Möglichkeiten von zu Hause aus. Das heißt du arbeitest jetzt als Schnittdirektrice für andere und erstellst auch selber Ebooks. Wo soll es denn hingehen? Hast du ein Ziel oder schaust du einfach, was sich entwickelt?

Eigene Kinder wirbeln erst einmal ALLES durcheinander. Aber es ordnet sich auch wieder. Zum Glück. Ich möchte den Bereich meiner Ebooks sehr erweitern. Dazu möchte ich weiter Hilfestellung geben, allerdings nicht auf Anfrage, sondern in Form von Büchern zu bestimmten Themen, von denen ich denke, dass sie sehr gefragt sind. An drei Büchern arbeite ich bereits (die Themen werden jedoch noch nicht verraten). Über ein Modekollektion denke ich immer wieder nach, allerdings sind einem dadurch auch sehr die Hände gebunden, ich könnte nicht mehr so frei arbeiten wie im Moment. Daher schiebt es sich in den Hintergrund. Da auch grad ein neuer Umzug nach Niedersachsen ansteht, bin ich gespannt, was am neuen Ort passieren wird. Vieles ergibt sich aus der Situation heraus. Da muss man offen sein.

Es bleibt also spannend… Du arbeitest also von zu Hause aus – ich auch. Ich mag es sehr. Man ist herrlich flexibel. Wie sieht bei dir ein typischer Arbeitstag aus?

Die Flexibilität zu Hause ist wunderbar, hat aber auch viele Tücken. Man kann schnell abgelenkt werden und plötzlich ist der Tag schon rum. Das Gefühl, morgens das Atelier aufzuschließen und in seinem Reich arbeiten zu können, übertrifft es leider allemal. Mein derzeitiger Arbeitstag zu Hause ist relativ kurz. Wenn das Kind zur Schule ist, beginne ich am Computer: Emails checken, Aufträge bearbeiten und an den neuen Büchern weiterschreiben. Die drei laufen parallel, da sie themenübergreifend, aber für verschiedene Zielgruppen gedacht sind. Ganz viel Kaffee. Wenn ich Lust zum Nähen habe, gehe ich ins Nähzimmer und tüftel an neuen Schnitten herum, die dann auch gleich genäht werden müssen. Oh, da liegt so einiges. Mein Sohn kommt von der Schule und er ist der erste, der seine Kritik an meinen Projekten auslassen darf. Am Abend sitze ich noch am Computer und schreibe weiter.

Also greift alles ineinander. Echt, dein Sohn ist dein erster Kritiker? Klasse! Wie muss ich mir das vorstellen? Bewertet er deine Schnittmuster?

Ja, er ist da ganz fix. Oft erzähl ich ihm von einer Idee, ein Kuschelding z.B. und beginne mit dem Schnitt. Er sagt mir dann, ob es gut ist oder was besser sein muss: die Größe, der Stoff, die Funktion. Einmal wusste ich nicht, was genau er meint, da ist er ins Nähzimmer gerannt, nimmt Stift und Papier, zeichnet seinen Schnitt und sag: So, jetzt näh DAS mal 🙂 . Oder er hat einen Wunsch, malt es auf und es wird von mir umgesetzt. Bei Kleidung muss er natürlich Modell stehen. Das mag er aber nicht so gerne. Vor einiger Zeit hat er sich eine ganz ausgefallene Hose gewünscht: mit Abwehrfunktion gegen Zombies. Ok, daran muss ich noch arbeiten 🙂 Aber Stoff kaufen gehen findet er klasse. Er hat auch den Namen für mein Label erfunden. Er wollte zum Frühstück eine Pflaumenwurst essen und war etwas irritiert, dass es das nicht gibt.

Super, die Nachfolge ist also schon geregelt 😀

Komischerweise will er Tierarzt werden 🙂

Es wiederholt sich also… 😀 Mal sehen, wo er am Ende landet. Gab es mal einen ganz besonderen Auftrag? Einen, an den du dich besonders gerne erinnerst oder vielleicht am liebsten gar nicht?

Ahh ja, da gab es so einiges, HAHA!! Schöne Aufträge waren Hochzeitskleider mit super aufgeregten Bräuten, die vor lauter eingebildeter Figurprobleme Angst vor dem großen Tag hatten und sich dann in ihrem neuen Brautkleid wunderschön gefühlt hatten. Einmal kam eine sehr kleine Frau mit großer Konfektionsgröße zu mir und wollte einen weiten, bodenlangen Rock. Sie hatte ein Blind-Date und Angst er würde wegen ihrer Fülle schreiend wegrennen. Der lange Rock hätte sie unförmig erscheinen lassen, daher überredete ich die Frau zu einem schmalen, kniekurzen Modell, weil ihre Beine sehr schlank und schön waren. In diesem Rock traf sie Ihr Date. Einige Monate später kam sie strahlend ins Atelier und erzählte von dem Treffen. Der Mann hatte sich sofort in sie verliebt und die Hochzeit war nun geplant. Sie glaubte, es wäre der Rock gewesen, der sie selbstbewusster gemacht und ihre Vorzüge zur Geltung gebracht hatte. Das war ein sehr bewegender Moment. Ein unschönes Erlebnis, aber fast schon komisch war mit einer jungen Frau, die sich zur Modedesignerin ernannt und null Ahnung von der Schnittkonstruktion hatte. Ich sollte nach ihren Entwürfen Schnitte erstellen, was an sich kein Problem ist. Jedoch verstand die Dame nicht, das ein Kleidungsstück den Körper umhüllt und nicht formt. Es gab viel Ärger und sie drohte mit ihrem „Anwalt“ (das war ihr Freund, der noch Jura studierte 🙂 ). Eine Lachnummer. Später erfuhr ich, sie war nicht nur bei mir, sondern hatte mit anderen Schnitterstellern die gleichen Differenzen.

Oh, das mit dem Rock ist ja eine wunderschöne Geschichte!!! Hmmmm… solche selbsternannten Schnittdesigner gibt es momentan leider ziemlich viele. Das Blöde daran ist, dass die schlechten Schnitte erst mal gekauft werden und dann kommen die Probleme… Schade finde ich dann immer, dass dann auf Nachfrage fast empört geantwortet wird, das müsse so sein und gehöre so… Da hab ich schon Sachen gelesen. Und mich ehrlich gesagt auch schon ziemlich über Schnittmuster geärgert! Wenn ich einen Schnitt kaufe, erwarte ich eine gute Passform und eine saubere Gradierung. Klar muss man auch mal Änderungen vornehmen, aber wenn dann schon im Schnittmuster alles vorne und hinten nicht passt… geht einfach nicht!

Ja, genau. Schlimm, wenn einzelne Teile von den Längen her gar nicht aneinander passen. Was die Passform betrifft: figurbedingt sind ja oft Änderungen nötig, weil alle Menschen unterschiedlich sind, aber wenn der Ärmel unter dem Arm kneift oder die Sitzhöhe bei einer Hose extrem niedrig ist bei einer eigentlichen Hüfthose, dann ist da einiges daneben gegangen 🙂 mich wundert es, das bei dem Probenähen nichts aufgefallen ist. Oder die Mädels sind einfach nicht kritisch genug.

Das vermute ich leider auch. Es sind viele Anfänger dabei. Was an sich nicht schlecht ist. Aber wenn sich weder Schnittersteller noch Probenäher auskennen, wird es schon schwierig. Das Probenähen ist ja zu einem regelrechten Wettstreit geworden. Gehört wohl offensichtlich dazu, mindestens in einem Stammteam zu sein, um im Nähzirkus wirklich bedeutsam zu sein. Ich habe mal ganz frech in einen Artikel über die Suche nach dem richtigen Schnittmuster geschrieben: Höre nicht auf die Posts der Probenäher! Die wollen ja schließlich im Stammteam bleiben…

Oh ja: das Stammteam. Das löst auf Dauer leider keine schnitttechnischen Probleme. Aber wenn es ihnen Spaß macht, weitermachen. Der Mode- und Nähmarkt ist viel größer als die FB-Gruppen vorgeben, mit einigen Ebooks im Netz wird man nicht um die Runden kommen. Das merken immer mehr. Wer von diesem Geschäft leben möchte, muss sich ordentlich ins Zeug legen und über die Ränder schauen. Das geht jedoch nur, wenn das Schnittmuster passt. Damit fängt alles an und endet auch damit. Und darauf muss man aufbauen. Klar gibt es immer wieder einige Ebooks, die zu kurzzeitigem Erfolg führen, allerdings fallen die Ersteller danach in ein großes Chaos, wenn es nicht gleichförmig weiterläuft. Ich denke dabei auch an das Finanzamt 🙂

Oooh ja… Ich habe mich auf einige wenige Schnittmusterersteller festgelegt, wo ich weiß, die liefern Qualität. Bei allen weiteren bin ich sehr kritisch.

Ich muss da ehrlich sein: ich nutze gar keine fremd erstellten Schnitte mehr. Da bin ich zu oft enttäuscht worden.

Kann ich sehr gut nachvollziehen. Dafür fehlt mir aber leider das nötige Handwerkszeug… Hätte ich doch… Aber Umwege… kennst du ja auch. 😀

Umwege sind immer sehr lehrreich und führen am Ende zum persönlichen Erfolg. Hätte ich direkt angefangen mit Modedesign, würde ich heute vielleicht einiges bereuen.

Richtig! Geht mir genauso…. Das ist ein super Schlusswort!
Umwege sind immer sehr lehrreich und führen am Ende zum persönlichen Erfolg.“

Eine letzte Frage: Wie ist dein Verhältnis zum Haushalt, Kochen etc. Machst du das gerne oder ist es eh notwendiges Übel, was du am liebsten auslagern würdest?

HAHA…auslagern wäre super, vor allem das Putzen. Beim Kochen tobe ich mich gerne aus. Das sieht man dann auch hier an den Gesichtern : mal so: 🙂 mal so: 🙁

Jaaaa, für meinen Haushalt suche ich auch noch jemanden, der ihn als seine Lebensaufgabe betrachtet 😀 Wenn ich Zeit habe, koche ich auch ganz gerne. Was gab es denn bei dir als letztes?

Ui, gestern gab es eine quietschgrüne Kreation von Kartoffel-Erbsenpü mit Würstchen. Als Nachtisch selbstgemachten Vanillepudding mit Rhabarbermus.

Hmmm. Das klingt gut! Nadine, ich danke dir sehr für das Interview und deine Zeit! Viel Erfolg für deine Bücher in Arbeit. Du hast mich echt neugierig gemacht.

Ich danke Dir für die tollen Fragen!